
Flex-Report Weibliche Führungskräfte: Handlungsbedarf auf ganzer Linie
Will Deutschland das Potenzial weiblicher Führungskräfte besser als bisher ausschöpfen, müssen die Arbeitgeber Modelle entwickeln, die der Lebensrealität von Frauen entsprechen.
Immer mehr Frauen setzen sich beruflich anspruchsvolle Ziele und wollen sich weiterentwickeln. Eine Untersuchung der Stiftung Familienunternehmen zur Erwartung von Nachwuchskräften kommt zum Ergebnis, dass bereits annähernd so viele Frauen wie Männer gute Karriereperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten als ein Top-
„Immer mehr Frauen setzen sich beruflich anspruchsvolle Ziele und wollen sich weiterentwickeln.“
Doch sind es gleichzeitig noch immer primär Frauen, die der familiären Fürsorgepflicht nachkommen,1 auch wenn sich Deutschland laut OECD (2016) auf dem Weg zu mehr Partnerschaftlichkeit befindet. Eine Flexibilisierung der Arbeit in Führung wird es Frauen leichter machen, Einzug in die deutschen Chefetagen zu halten. Flexibilisierung bedeutet dabei nicht nur, in klassischer Teilzeit zu arbeiten oder sich für einzelne Phasen ganz aus dem Arbeitsleben zurückzuziehen. Vielmehr geht es darum, Modelle zu finden, die Frauen mehr Souveränität in der Gestaltung ihres Arbeitslebens geben und ihnen so erlauben, in einem größeren Umfang am Erwerbsleben teilzunehmen. Insbesondere drei Arbeitsmodelle kommen dafür infrage: mobiles Arbeiten, reduzierte Vollzeit und Jobsharing. Gleichzeitig darf mehr Flexibilität nicht dazu führen, dass sich die Trennung zwischen Privat- und Berufsleben aufhebt.
Im Fokus dieses Reports stehen die Bedürfnisse und Anforderungen von Frauen in Bezug auf flexibles Arbeiten. Dennoch: Mehr Souveränität und damit auch mehr Zufriedenheit kommen nicht nur den Bedürfnissen von Frauen entgegen. Denn auch die Lebensrealität der Männer hat sich gewandelt und verlangt nach mehr Selbstbestimmung. Der gesellschaftliche Wertewandel und die Pluralisierung von Lebensentwürfen verändern die Art und Weise, wie Menschen zusammen leben und arbeiten. Schon jetzt ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Berufs- und Privatleben das wichtigste Kriterium für die Wahl des Arbeitgebers – für die Generation Y noch mehr als für die Babyboomer (Lott, 2017). Im Mittelpunkt steht insbesondere die Vereinbarkeit des Berufs- mit dem Privatleben – dabei wird ein Mehr an Zeit für Familie auch für Männer immer wichtiger. Je nach Lebensphase gewinnen bedürfnisgerechte Arbeitsmodelle damit für beide Geschlechter an Bedeutung: Sie geben ihnen mehr Raum für die persönliche Entwicklung auch außerhalb der Arbeit, sei es für die Gründung einer Familie, die Weiterbildung, ein ehrenamtliches Engagement oder schlichtweg, um mehr Zeit für Hobbies und sich selbst zu haben.
„Der gesellschaftliche Wertewandel und die Pluralisierung von Lebensentwürfen verändern die Art und Weise, wie Menschen zusammen leben und arbeiten.“
Obwohl es also gute wirtschaftliche und gesellschaftliche Gründe für flexibles Arbeiten gibt, ist die Nutzungsquote entsprechender Angebote in Deutschland derzeit noch gering. Führungskräfte nehmen flexible Modelle dabei insgesamt seltener in Anspruch als Mitarbeiter ohne Führungsverantwortung. Obwohl 82,1% der Führungskräfte die Möglichkeit zur Verfügung steht, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, wählen nur 14,9% tatsächlich diese Option (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft , 2016). Bei weiblichen Führungskräften (29,5%) ist dies deutlich häufiger der Fall als bei männlichen (7,4%). Beim Arbeitsmodell Jobsharing werden unausgeschöpfte Potenziale besonders deutlich: Während 26,9% aller Unternehmen diese Arbeitszeitform anbieten, entscheidet sich mit 1,3% nur ein verschwindend kleiner Anteil der Führungskräfte dafür. Weitaus häufiger sind Angebote für Home Office (69,2%), aber auch hier sind noch Nutzungspotenziale gegeben (37,5%) (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft, 2016).
Dass flexible Arbeitsmodelle in Deutschland insgesamt bislang so wenig Anklang finden, überrascht in Zeiten fortschreitender Globalisierung und Digitalisierung. Viele weltweit tätige Unternehmen bauen längst auf internationale Teams und dezentrale Strukturen. Dies müsste flexible Arbeitsmodelle eigentlich begünstigen, wenn nicht sogar notwendig machen: Ohne Flexibilität wird es etwa kaum möglich sein, mit dem Kollegen in Frankreich am Vormittag ein Strategiekonzept auszuarbeiten und es am Abend dem Geschäftsführer in den USA per Videokonferenz vorzustellen. Zudem bietet die Digitalisierung ganz neue Möglichkeiten, Führungskräfte und Mitarbeiter unabhängig von Zeit und Ort miteinander zu verbinden und zu vernetzen.
Die dennoch geringe Verbreitung innovativer Arbeitsmodelle erklärt sich aus der fehlenden Akzeptanz. 38% der Führungskräfte sehen flexible Arbeit als karriereschädlich an (Führungskräfte Institut, 2016). Denn Führungspositionen scheinen unweigerlich verbunden mit Vollzeitarbeit und darüber hinausgehenden Zeitinvestitionen, etwa zum informellen Austausch oder Aufbau eines Netzwerks. Viele Führungskräfte fürchten, dass sie als weniger leistungsfähig gelten, sollten sie sich für alternative Arbeitsmodelle entscheiden, und Nachteile für ihre Karriere davontragen.
Die „Teilzeitfalle“ droht besonders dann, wenn Frauen in Führungspositionen aufsteigen wollen. Über alle Hierarchiestufen hinweg gesehen, arbeitet in Deutschland knapp die Hälfte der Frauen in einem reduzierten Arbeitszeitmodell (Eurostat). Dieser Anteil hat sich in den vergangenen Jahren sogar erhöht. In Führungspositionen ist er mit 29,5% allerdings deutlich geringer. Wer die Möglichkeit nutzt, reduziert das Arbeitsvolumen typischerweise auf 80 oder 90%, was de facto der Definition einer reduzierten Vollzeit entspricht (Competence Centre for Diversity & Inclusion, 2016). Ein Mindestmaß an Arbeitsvolumen scheint nach allgemeiner Vorstellung notwendig, um den Ansprüchen einer Führungskraft gerecht zu werden. In den von Initiative „Chefsache“ geführten Interviews wird dieses Minimum bei schätzungsweise 80% gesehen. Doch auch bereits eine Reduzierung des Arbeitsvolumens um 10 bis 20%, so eine Studie mit Schweizer Führungskräften, wirkt sich negativ auf die Entwicklung einer Karriere aus (Competence Centre for Diversity & Inclusion, 2016).