Flex-Report Flexibles Arbeiten: Noch immer zu wenig flächendeckende Akzeptanz
Flexible Arbeitsformen in Führungspositionen sind wirtschaftlich sinnvoll und gesellschaftlich notwendig. Der Bedarf ist vorhanden, sowohl bei Frauen als auch bei Männern.
Doch trotz einiger Erfolgsbeispiele ist Deutschland von einer flächendeckenden Akzeptanz und Nutzung solcher Modelle weit entfernt. Erforderlich ist daher ein Neudenken: Flexibles Arbeiten funktioniert nur dann, wenn drei Ebenen erfolgreich miteinander interagieren: die jeweilige Organisation, in der Führung stattfindet, das Arbeitsumfeld (Vorgesetzter und Team) und das Individuum (Führungskraft) selbst. Voraussetzung für den Wandel ist zunächst ein genaues Verständnis der heute bestehenden Hürden auf diesen drei Ebenen.
Organisation
Zu den größten Barrieren bei der Einführung flexibler Arbeitsformen gehören Widerstände in der Organisation selbst – vor allem in drei Bereichen:
Infrastruktur und Kosten. In vielen Fällen scheitert flexibles Arbeiten noch immer an grundsätzlichen Dingen wie dem Fehlen einer angemessenen IT-
„Doch trotz einiger Erfolgsbeispiele flexibler Arbeitsformen ist Deutschland von einer flächendeckenden Akzeptanz und Nutzung solcher Modelle weit entfernt.“
Kultur des Unternehmens. Zu einer Führungskarriere gehören nach Einschätzung vieler Unternehmen Flexibilität und Leistungsbereitschaft. Dabei wird Leistungsbereitschaft gleichgesetzt mit hohem Arbeitspensum, langen Präsenzzeiten und Mobilität. Von Führungskräften wird in der Regel erwartet, dass sie immer verfügbar sind, um jederzeit Entscheidungen treffen zu können – alle anderen Aspekte des Lebens haben sich den Anforderungen der Arbeit unterzuordnen. Diese Erwartungshaltung lässt gerade eine Verminderung der Arbeitszeit als unvereinbar mit einer Führungsfunktion erscheinen. Auch wird oft bezweifelt, dass sich Aufgaben wie das Führen und Beurteilen von Mitarbeitern bei reduzierter Arbeitszeit oder Home Office zuverlässig erfüllen lassen. Führungskräfte haben vor Ort zu sein, Leistungskultur heißt Präsenzkultur. Hinzu kommt: Konformität ist gerade in Großunternehmen oftmals entscheidend für den beruflichen Aufstieg. Eine konforme Karriere ist aber durch Vollzeitarbeit geprägt.
Laut Führungskräfte Institut (2016) sehen Führungskräfte den Mangel an Rollenvorbildern als größtes Hindernis bei der Nutzung flexibler Arbeitszeitmodelle (70%). Auch eine Befragung des Unternehmensprogramms Erfolgsfaktor Familie gemeinsam mit dem Bundesverband der Personalmanager kommt zu dem Ergebnis, dass die Akzeptanz durch Führungskräfte der wichtigste Erfolgsfaktor bei der Umsetzung reduzierter Vollzeit ist (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2016c).
Implementierung und Evaluierung. Flexibles Arbeiten gilt gemeinhin als „weiches“ Thema. Das haben auch die von der Initiative „Chefsache“ geführten Interviews gezeigt. Die Vorteile – gerade für die Unternehmen – bleiben oft im Vagen. Umso wichtiger ist es, den Nutzen flexiblen Arbeitens mit harten Fakten zu untermauern. Lassen sich Erfolge nicht durch Zahlen belegen, können Kritiker nur schwer überzeugt werden.
Arbeitsumfeld
Die mangelnde Akzeptanz flexiblen Arbeitens in der Organisation wirkt sich auch auf das direkte Arbeitsumfeld aus. Hürden zeigen sich vor allem in drei Bereichen:
Unterstützung durch Vorgesetzte. Das Gros der Führungskräfte beklagt eine unzureichende Unterstützung und Ermutigung zur Nutzung flexibler Arbeitsmodelle durch die oberste Führung (67%) und direkte Vorgesetzte (64%) (Führungskräfte Institut, 2016). Ursache könnte sein, dass viele Vorgesetzte flexible Arbeitsformen immer noch mit Skepsis betrachten. Das liegt an Unwissenheit, aber auch an mangelnden Anreizen. Nur 40% der Führungskräfte werden laut einer Umfrage aus dem Jahr 2015 über entsprechende Anreizsysteme für ihre Unterstützung flexibler Arbeitsformen belohnt (Hofmann et al., 2015).
Teaminteraktion. Entscheidet sich eine Führungskraft für flexibles Arbeiten, kann dies Auswirkungen auf das gesamte Team haben. Mehr als jede zweite Führungskraft nennt als Herausforderung weniger Kontrollmöglichkeiten und die Notwendigkeit, Mitarbeitern bzw. untergeordneten Führungskräften mehr Eigenverantwortung einzuräumen (Institut für Beschäftigung und Employability, 2014). Das setzt entsprechendes Vertrauen voraus, was nicht immer gegeben ist. Zudem kann es zur Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern kommen, wenn sie bisherige Aufgaben der Führungskraft übernehmen müssen. Oft gelingt es nicht, die verbreitete Annahme zu entkräften, dass die Entscheidung für ein flexibles Modell zulasten der Kollegen geht.
Bewertung und Beförderung. Flexibel arbeitende Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, ein angemessenes Maß an Vertrauen und Bindung aufzubauen – um einerseits unterstehende Personen angemessen beurteilen zu können, andererseits selbst bei der Beurteilung durch die vorgesetzte Person nicht benachteiligt zu werden. Tatsächlich lassen die von der Initiative „Chefsache“ geführten Interviews vermuten, dass flexibel arbeitende Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten oft objektiv schlechter bewertet werden. Sie erhalten nur eine Bewertung im Mittelfeld, da sie wegen ihrer begrenzten Verfügbarkeit nach Einschätzung des Vorgesetzten nicht die „außergewöhnlichen“ Leistungen erbringen können, derer es zu einer Top-
„Eine Befragung kommt zu dem Ergebnis, dass die Akzeptanz durch Führungskräfte der wichtigste Erfolgsfaktor bei der Umsetzung reduzierter Vollzeit ist.“
Individuum
Ob sich flexible Arbeitsformen in Führungspositionen auf Dauer durchsetzen werden, hängt nicht zuletzt von der Einstellung und den Fähigkeiten der einzelnen Führungskraft selbst ab.
Einstellung. Eine qualitative Befragung von 220 weiblichen und männlichen Führungskräften zeigt, dass sich Führungskräfte unter extremem Erwartungsdruck sehen, viel und lange zu arbeiten und immer erreichbar zu sein (Kaiser et al., 2012). Interessanterweise neigen sie dazu, diesen Erwartungsdruck selbst zu reproduzieren – sie unterstreichen die Notwendigkeit, in ihrer Position überdurchschnittlich viel Zeit in die Erledigung der Aufgaben investieren zu müssen.
Auch bei flexibler Arbeit weicht dieser Erwartungsdruck oft nicht – die Führungskraft investiert häufig mehr Zeit als vereinbart. Beispielsweise berichten Frauen in den von Initiative „Chefsache“ geführten Interviews, dass sie reduzierte Vollzeit lediglich als flexible Vollzeit nutzen – sie reduzieren dabei de facto nicht ihre Stunden, haben aber das Gefühl, es sich in diesem Modell „erlauben zu können“, das Büro z.B. am Nachmittag zu verlassen, um ihrer Fürsorgeverantwortung gerecht zu werden. Viele Führungskräfte scheuen sich dementsprechend, proaktiv über ihr flexibles Arbeitszeitmodell zu sprechen – und fallen damit als „Werbeträger“ aus.
Fähigkeiten. Um flexible Arbeitszeitmodelle erfolgreich umsetzen zu können, benötigen Führungskräfte eine Kombination fachlicher, methodischer, sozialer und technischer Kompetenzen. Jede zweite Person in leitender Funktion sieht die steigende Komplexität der Führungsaufgaben als Herausforderung (Institut für Beschäftigung und Employability, 2014). Dazu tragen nicht zuletzt die durch Digitalisierung entstehenden Umbrüche bei. Führungskräfte müssen in der Lage sein, einerseits relevante Technologien zu identifizieren, andererseits sich und die Mitarbeiter zu befähigen, diese erfolgreich anzuwenden. Veränderungsmanagement gewinnt vor diesem Hintergrund als Führungsaufgabe eine größere Bedeutung – wird aber mehrheitlich (72%) als Herausforderung eingeschätzt (Institut für Beschäftigung und Employability, 2014). Hinzu kommt oft ein subjektiv empfundener Mangel an Zeit für die Führungsarbeit. Bei Arbeitszeitreduzierung droht eine weitere Arbeitsverdichtung.
Lesen Sie den kompletten Flex-Report „Flexibles Arbeiten in Führungspositionen – Ein Handlungsleitfaden für Chefetagen“ hier.