Justine Leconte vom gleichnamigen Modelabel
Justine Leconte

Chefsache-Jahreskonferenz Justine Leconte: „Wir brauchen mehr Role Models“

Justine Leconte hat ihren Konzernjob gekündigt und ein eigenes Modeunternehmen gegründet. Bei Youtube und Instagram zeigt sie ihren Alltag. Auf unserer Jahreskonferenz am 23. Juni 2020 (hier anmelden und dabei sein) diskutiert sie die Ergebnisse des neuen Chef:innensache-Reports „New Work – Fair Chances“.

Justine, wie sieht die Arbeitswelt von morgen aus?

Der jetzige Trend, ortsunabhängiger und zeitlich flexibler zu arbeiten, wird sich verstärken. Es gibt immer noch viele Jobs und viele Unternehmen, bei denen man denkt, dass man vor Ort sein muss, damit „es klappt“. Das stimmt oft nicht. Ich betreibe ein Modeunternehmen mit physischen Produkten. Trotzdem arbeite ich seit 2015 komplett digital und mein Team auch. Grundsätzlich geht es zukünftig darum, die Arbeit um das Leben herum zu organisieren statt andersherum. Die sogenannten Digital Nomads haben dieses Prinzip schon längst zu ihrer Realität gemacht.

Nimmst du einen Wertewandel – in deinem Umfeld/deiner Community – wahr?

Ja, und noch mehr seit Covid-19. Die letzten Monate waren für viele ein Crash-Test in Sachen Organisation: Beide Partner arbeiten im Home-Office, eventuelle Kinder sind auch zuhause, man hat nicht mehr das Büro, um eine räumliche Trennung in seinem Tag zu schaffen. Für viele meiner Followerinnen hat es zu physischer und mentaler Erschöpfung geführt, weil sie festgestellt haben, dass ihre Partner nicht oder nicht genug von der Hausarbeit und von der Kinderbetreuung übernommen haben, obwohl sie auch zuhause waren, während sie das UND den Job unter einen Hut kriegen mussten. Es war für sie frustrierend, festzustellen, dass die traditionelle Rollenverteilung in vielen Familien/Haushalten, inklusive in ihrer eigenen, noch sehr präsent ist. Es fühlt sich so an, als wären gerade die Frauen weiter, was das Thema angeht, als die Männer. Viele scheinen nach dieser Erfahrung ihre Prioritäten ändern zu wollen.

Wie nimmst du das wahr: Haben Frauen und Männer die gleichen Chancen im Berufsleben?

Nein. Ich habe zwar das Gefühl, dass die Situation sich in den vergangenen zehn Jahren verbessert hat – aber es liegt vermutlich auch daran, dass ich erfahrener und selbstbewusster geworden bin und mir meinen Job von einem Mann nicht erklären lasse, der mich erst fünf Minuten kennt. Das mag jetzt so klingen, wie eine „angry Feministin“. Ich bin nicht angry. Ich habe einfach in meiner Marketing-Karriere Sachen schon gehört, wie „Lass das, du hast keine Ahnung“, oder „Du bist in dem Alter, in dem man Kinder bekommt. Wenn Du jetzt kündigst, ist Deine Karriere zu Ende, niemand wird Dich einstellen“. Das nennt sich Gaslighting. In 100 Prozent der Fälle, in den ich nicht ernst genommen wurde und/oder klein geredet wurde, waren es Männer. Nun arbeite ich in der Modebranche, wo man auf Stoffmessen und bei Lieferanten immer noch überwiegend Männer trifft, die mich teilweise mit „Bonjour, hübsches Fräulein“ auf ihre Messestände begrüßen. Solche sparen mir Zeit, ich laufe sofort zum nächsten Stand und sie werden nie einen Auftrag von mir bekommen.

Woran liegt das?

Diese Verhaltensweisen sind Reste aus dem 20. Jahrhundert, als sich Frauen tatsächlich untergeordnet haben, weil sie nicht die gleichen Rechte hatten, wie Männer. Diese Ära ist vorbei. Nun müssen zwei Sachen passieren: 1) Frauen müssen sich ihren Wert bewusst(er) werden und sich selbst keine Grenzen setzen. 2) Männer müssen sich aktiv mit dem Thema Chancengleichheit beschäftigen und ihr Verhalten bewusst anpassen. Da Männer zurzeit in der Machtposition sind reicht es nicht aus, dass nur Frauen sich mit dem Thema auseinandersetzen.

Justine Leconte vom gleichnamigen Modelabel
Justine Leconte

Wie hat sich die Corona-Pandemie in den vergangenen Wochen auf deine Arbeit ausgewirkt?

Bei mir hat sich beruflich kaum etwas geändert. Ich arbeite schon digital und ortsunabhängig. Die Challenge lag eher daran, ohne Rausgehen, ohne Gym und ohne soziale Kontakte meine Balance aufrecht zu erhalten. Ich habe das zu meiner höchsten Priorität gemacht. Ich habe fünf mal pro Woche Sport zuhause gemacht, Montag bis Freitag, als Übergang zwischen dem Arbeitstag und dem Feierabend. Ich habe zwei mal pro Tag warm gekocht, was ich sonst nicht mache. Ich habe dezidiert nicht am Wochenende gearbeitet (was ich sonst teilweise mache, denn meine Zeiten sind flexibel), um wirklich abzuschalten. Ich habe meine Energielevel täglich getrackt und aufgeschrieben. Die Wochen 1 und 2 in Quarantäne waren hart, ab Woche 3 hatte ich es im Griff und war wieder 100% einsatzfähig. An dieser Stelle muss ich betonen, dass ich keine Kinder habe. Es ist mir klar, dass Mütter und insbesondere alleinerziehende Mütter vor einer deutlich schwereren Challenge standen als ich.

Gibt es Dinge, die du seit Beginn der Pandemie in Bezug auf das Arbeitsleben anders siehst/anders machst/die dich positiv überrascht haben?

Ich finde es super, dass ich niemandem mehr erklären muss, wie eine Video-Konferenz funktioniert und, dass man nicht gleichzeitig sprechen kann. Spaß bei Seite: Ich bemerke, dass sich einige Unternehmen innerhalb von ein paar Wochen ihre Prozesse digitalisiert haben, es geht schneller, das ist großartig. Ich bemerke, dass Leute weniger Angst vor Technologie haben und nicht mehr sagen „ich weiß nicht wie“, sondern sie machen Google auf und suchen wie. Das ist ein extrem wichtiger Skill, die ich bei allen Kandidaten möchte, die sich bei mir vorstellen. Ich möchte nicht all die Gründe wissen, warum etwas nicht geht. Ich möchte wissen, was wir brauchen, damit es geht. Meiner Meinung nach hat die Arbeitskultur durch die Pandemie einen guten Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Bringt New Work mehr Chancengerechtigkeit für Frauen?

Ja, wenn die Männer auch mit einbezogen werden. Nein, wenn die Frauen ab jetzt mehr in Teilzeit von zuhause arbeiten, währen die Männer weiterhin Vollzeit in der Firma sitzen.

Die Arbeitskultur wurde gerade von der Quarantäne auf den Kopf gestellt. Es ist eine einmalige Gelegenheit, neue Organisationen und Arbeitsweisen zu etablieren, bevor wir wieder in die alten Muster und die bekannte Comfort Zone wieder reinrutschen. Change Management heißt „unfreeze, change, refreeze“. Covid hat alles „geschmolzen“, nun können wir den Rest auch leichter schaffen.

Warum ist dir das Thema Chancengerechtigkeit von Männern und Frauen so wichtig?

An jedem Punkt meines bisherigen Berufswegs wurde mir gesagt „Kannst Du nicht“, „Es geht nicht“, „Das wird als Frau noch schwieriger“. Ich habe meinen MBA abgeschlossen, während ich Vollzeit gearbeitet habe. Ich habe meinen gut bezahlten Konzernjob verlassen und meine Möbel verkauft, um alle meine Ersparnisse in ein neues Studium in Modedesign zu investieren. Ich habe ein Modelabel ohne Finanzierung gestartet. Wenn mehr Frauen sehen, dass sie ihr Leben wirklich so gestalten können, wie sie lustig sind, dann trauen sie sich auch. Über YouTube und Instagram bekomme ich regelmäßig Nachrichten von Frauen, die meine Videos dazu inspiriert haben, ein Unternehmen zu starten, die Branche zu wechseln, etc. Meine Antwort ist immer: „Well done, sei stolz auf Dich. Und teile Deine Erfahrung weiter, denn wir brauchen mehr Role Models“.