Julia Sperling und Anastassia Lauterbach auf dem ZEIT-Wirtschaftsforum
Phil Dera für DIE ZEIT

ZEIT-Wirtschaftsforum ZEIT-Wirtschaftsforum: „Künstliche Intelligenz oft männlich“

Wie sinnvoll ist künstliche Intelligenz bei der Personalauswahl? Hilft sie auf dem Weg hin zu mehr Chancengerechtigkeit? Diese und andere Fragen diskutierten auf dem diesjährigen ZEIT-Wirtschaftsforum KI-Expertin Anastassia Lauterbach und McKinsey-Partnerin Julia Sperling vor hunderten geladenen Gästen.

„Künstliche Intelligenz ist menschlich und leider allzu oft männlich.“ Die Unternehmerin und KI-Expertin Anastassia Lauterbach ist Multi-Aufsichtsratsmitglied, unter anderem beim DAX30-Unternehmen Wirecard. Auf dem ZEIT-Wirtschaftsforum am 6. September 2019 erlebten die geladenen Gäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die sich im Hamburger Michel versammelt hatten, eine nachdenkliche Speakerin. In der Nutzung von Künstlicher Intelligenz liegen große Chancen, allerdings arbeite KI aktuell mit Datensätzen, die Frauen allzu häufig ignorieren.

In der KI-Welt herrscht ein Gender Data Gap

Der Mann gelte in vielen Branchen als Standard. So wurden bei Amazon in einem automatisierten Bewerberverfahren Frauen als ungeeignet aussortiert, weil die Maschine analysiert hatte, dass die ausgewählten Kandidaten der vergangenen zehn Jahre allesamt männlich waren, so Lauterbach. „In der KI-Welt reden wir vom Gender Data Gap – und zwar sehr besorgt“, ließ sie wissen. „Wir haben nur wenig Zeit, um zu verhindern, dass unbewusste Denkmuster weiter skaliert werden.“

Mehr Frauen in KI-Teams

Ihre Keynote endete sie mit einem starken Plädoyer: Künstliche Intelligenz sei kein Technologie-, sondern ein Leadership-Thema. KI-Teams dürften nicht länger nur aus Männern bestehen, das Thema gehöre zudem auf die politische Agenda. Bei allem, was heute getan und entschieden werde, sei es notwendig, sich bewusst zu machen, dass die derzeit entwickelten Technologien sehr lange bleiben und das Denken und Handeln der nächsten Jahrzehnte bestimmen werden.

Künstliche Intelligenz braucht strikte Qualitätskontrollen

In der anschließenden Diskussionsrunde „Digitalisierung und Künstliche Intelligenz: Vielfalt, Vorurteile und Verantwortung“ warb Dr. Julia Sperling, McKinsey-Partnerin und dort international für das Thema Diversity verantwortlich, darum, die Chancen von Künstlicher Intelligenz für fairere HR-Prozesse und somit auch mehr Diversität zu sehen. „Wenn wir Künstliche Intelligenz mit den richtigen Daten füttern, kann KI unterstützen, mehr Chancengerechtigkeit bei der Personalauswahl zu verwirklichen“, so Sperling. Jeder sollte sich bewusst sein, dass sein Handeln durch unbewusste Vorurteile geprägt sei. Als Beispiel führte sie an, dass Führungskräfte häufig den Mini-me-Bias erliegen, in dem sie ihre Teams vor allem mit Menschen besetzen, die ihnen ähnlich seien. „Strikte Qualitätskontrollen sind daher notwendig“, so Sperling.

Auf die Frage von ZEIT-Moderatorin Johanna Schoener, ob Künstliche Intelligenz bei McKinsey bereits im Einsatz sei, berichtete Sperling von ersten Pilotprojekten, die in Deutschland durchgeführt werden, insbesondere im Screening-Prozess nach passenden Talenten. „Es wäre gut, wenn uns Künstliche Intelligenz helfen könnte. Bisher hat in unserem speziellen Fall noch kein Algorithmus überzeugt, aber wir testen und verbessern sie weiter“, so Sperling. Sperling sagte, sie treibe vor allem an, wie menschliche Willkür verhindert werden könne. Algorithmen seien nicht willkürlich, darin liege eine große Chance.

Studie: Deutsche sind gegenüber KI skeptisch

Auch weil die Deutschen hinsichtlich künstlicher Intelligenz skeptisch seien – immerhin 60 Prozent sehen den Einsatz von KI bei der Personalauswahl nach einer aktuellen Umfrage von McKinsey und der Initiative Chef:innensache kritisch – bestehe der größte Handlungsbedarf an der Schnittstelle zwischen menschlichen Entscheidungen und künstlicher Intelligenz. „Diverse Programmierer-Teams und Vier-Augen-Coding helfen dabei“, so Sperling.

Acht Punkte für mehr Verantwortung in der KI-Welt

Was tun? Anastassia Lauterbach stellte dazu einen Acht-Punkte-Plan zur Diskussion:

  • Sich der Verantwortung bewusst werden
  • Fragen stellen und skeptisch bleiben
  • Blick auf Vorurteile schärfen
  • KI-Teams divers besetzen
  • Watchdogs in IT-Systeme einbinden
  • Künstliche Intelligenz muss auf die politische Agenda
  • Rechenschaftsberichte für Algorithmen einführen
  • Optimistisch bleiben

Die Diskussion um den Einsatz von Künstlicher Intelligenz hat sicherlich erst begonnen.

Studie: Künstliche Intelligenz bei der Personalauswahl

Wird die Auswahl von Personal dank künstlicher Intelligenz bald zu einer Sache von ein paar Klicks? Viele betrachten diese Entwicklung mit Sorgen. 60 Prozent der Deutschen stehen dem Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Personalauswahl kritisch gegenüber.

Das ergab eine repräsentative Civey-Umfrage von McKinsey & Company in Zusammenarbeit mit der Initiative Chef:innensache. Im August 2019 wurden dafür 2503 Personen in Deutschland befragt.

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