Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht der Deutschen Bahn AG
Deutsche Bahn AG/Urban Zintel

Interview Martin Seiler: „Chancengerechtigkeit steht immer an erster Stelle“

Martin Seiler, Vorstand für Personal und Recht bei der Deutschen Bahn AG, will durch flexible Arbeitszeitmodelle und der Ausschreibung von Vakanzen in Teilzeit mit Vollzeitoption die Zugangsbarrieren abbauen und verstärkt Frauen ansprechen. Im Interview erklärt er, warum das ein Muss für die moderne Arbeitgeberin ist, wieso Chancengerechtigkeit für ihn an erster Stelle steht und welche weiteren Maßnahmen die Deutsche Bahn gerade vorantreibt.

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Aus welchen Gründen setzt die Deutsche Bahn auf flexible Arbeitszeitmodelle als Must Have?

Martin Seiler: Das Interesse an flexiblen Arbeitszeitmodellen ist unter Arbeitnehmer*innen in den vergangenen Jahren stark gestiegen – auch bei der Deutschen Bahn. Immer mehr Menschen wünschen sich, in Teilzeit zu arbeiten oder ihre Arbeitszeit individuell zu gestalten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sei es, um Familie und Beruf besser zu vereinbaren, mehr Zeit für Hobbys oder ehrenamtliche Tätigkeiten zu haben oder um eine berufsbegleitende Qualifizierung zu absolvieren. Als moderne Arbeitgeberin möchten wir den individuellen Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden gerecht werden und zeitgleich neue qualifizierte Mitarbeitende gewinnen, die einen Job in Vollzeit nicht ausführen können oder möchten. Daher schreiben wir von nun an alle neuen Stellen, sofern betrieblich möglich, in Teilzeit aus – die Vollzeitausschreibung ist optional. Wichtig dabei: Das gilt ebenso für Stellen von Führungskräften. Damit wollen wir auch verstärkt Frauen ansprechen und Zugangsbarrieren abbauen, die häufig durch die Doppelbelastung von Familie und Beruf bedingt sind. Denn die häusliche und familiäre Pflegearbeit wird nach wie vor stärker von Frauen als von Männern übernommen. Die aktuelle Situation und andauernde Pandemie verschärfen dieses Problem – oft erleben wir gar eine Rückwärtsbewegung in Sachen Geschlechter- und Chancengerechtigkeit. Dies bestätigen auch aktuelle Studien, zum Beispiel die des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Mit den flexiblen Arbeitszeitmodellen möchten wir es allen Eltern ermöglichen, Familie und Karriere erfolgreich zu vereinbaren. Wir sind der Überzeugung, dass beides zusammen geht – mit der nötigen Unterstützung der Arbeitgeberin. Unabhängig davon wollen wir damit allen Mitarbeitenden die Möglichkeiten bieten, Beruf- und Privatleben besser zu vereinbaren. Viele unserer Mitarbeitenden nutzen das Angebot bereits – insofern sprechen wir hier Männer und Frauen, Mitarbeitende und auch Bewerberinnen und Bewerber gleichermaßen an und tragen unseren Teil zu einer modernen Arbeitswelt bei.

Seit wann schreibt die Deutsche Bahn die Vakanzen als Teilzeit aus? Gibt es schon erste Rückmeldungen?

Martin Seiler: Die technische Umsetzung ist seit Oktober 2020 final. Bis jetzt ist schon circa die Hälfte der Stellen in den Optionen Teilzeit bzw. Vollzeit/ Teilzeit ausgeschrieben. Die Recruiter*innen beraten die späteren Vorgesetzten gezielt zu den gesetzlichen Vorgaben bezüglich des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, um noch mehr zu erreichen. In wenigen Fällen ist eine komplette Ausschreibung in Teilzeit nicht möglich, z.B. bei Ausbildungen, beim Quereinstieg oder bei Mitarbeitenden mit Rufbereitschaft. Die Auswertung erfolgt nun peu à peu, aber die Rückmeldungen sind durchweg positiv.

Mit welchen anderen Maßnahmen zur Flexibilisierung von Arbeitsmodellen hat die Deutsche Bahn gute Erfahrungen gemacht?

Martin Seiler: Unsere Mitarbeitenden können derzeit zwischen mehr Urlaub, geringerer Arbeitszeit oder mehr Entgelt wählen. Diese individuelle Entscheidung wird gerne genutzt. Neben der Option, in Teil- und Gleitzeit zu arbeiten, bieten wir auch andere Arbeitszeitmodelle, wie Jobsharing oder Co-Leadership an. Diese Möglichkeiten werden ebenfalls verstärkt wahrgenommen und in einigen Führungspositionen bereits erfolgreich umgesetzt. Mit dem Programm flex@work ermöglichen wir unseren Beschäftigten zudem, zeitlich und örtlich flexibel zu arbeiten – zumindest in den Berufen, wo es realisierbar ist. Bei einer Lokführerin ist das natürlich schwieriger, aber auch hier unterstützen wir eine bessere Work-Life Balance – zum Beispiel durch eine flexible Schichtplanung. Wir bieten unseren Mitarbeitenden auch ein Langzeitkonto an, auf dem Zeitguthaben, Entgelte und Urlaubstage angespart und individuell verwendet werden können.

Im vergangenen Jahr haben Sie angekündigt, dass die Deutsche Bahn bis 2024 30 Prozent Frauen in Führungspositionen haben möchte. Welche Maßnahmen sollen dabei unterstützen?

Aktuell liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen bei der Deutschen Bahn etwas über 20 Prozent. Um unser Ziel „30% Frauen in Führung“ zu erreichen, setzen wir auf interne und externe Hebel, die sich in vielfältigen Maßnahmen ausdrücken. Wir haben 30 Personalgewinnungsmaßnahmen aufgesetzt und sehen bereits erste Erfolge. Wir verfolgen unter anderem den Ansatz, Frauen verstärkt durch die Sichtbarkeit von weiblichen Role Models oder unsere #wirsindIN Recruitingdays anzusprechen. Zudem entwickeln wir Monitoring-Maßnahmen, um einen kontinuierlichen Überblick über die aktuellen Entwicklungen zu haben. Mit speziellen Mentoring-Programmen unterstützen wir Frauen beim Berufseinstieg. Unter anderem stellt das Netzwerk „Frauen bei der Bahn“ Berufseinsteigerinnen weibliche Führungskräfte zur Seite. Natürlich setzen wir nicht nur auf externe Bewerberinnen, sondern unterstützen unsere Mitarbeiterinnen auch aktiv mit der DB-Personalentwicklung. Unsere interne Kampagne „Führung Rockt“ und das konzernweite Karrieremanagement bestärken Frauen, in Führung zu gehen, begleiten sie aktiv in ihrer Karriereplanung bei der DB und platzieren sie in Besetzungsprozessen sowie in der Nachfolgeplanung.

Anhand interner Workshops vermitteln wir das notwendige Toolset, um sich in internen Bewerbungsverfahren zurechtzufinden und unterstützen sie dabei, das eigene Potenzial auszuschöpfen. Das Wichtigste, um alle Maßnahmen erfolgreich umsetzen zu können, ist jedoch das passende Mindset und die Sensibilisierung und Reflexion der Mitarbeitenden und Führungskräfte. Um das zu erreichen, führen wir interne Diversity-Trainings mit Personaler*innen sowie Führungskräften durch. Dort arbeiten wir anhand von Business Cases die Bedeutung von diversen Teams für den Unternehmenserfolg heraus und versuchen, unbewusste Vorurteile aufzubrechen. Alle sollen und müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen und einen Beitrag leisten. Wir arbeiten sehr fokussiert an unserem Ziel und sind uns zeitgleich bewusst, dass wir in den kommenden Jahren noch einiges umsetzen müssen. Aber wir sind auf dem richtigen Weg.

Stichwort Personalmarketing: Welche Maßnahmen sind hier besonders erfolgsversprechend und warum?

Martin Seiler: Bei der Deutschen Bahn arbeiten täglich über 300.000 Menschen aus den verschiedensten Kulturkreisen zusammen. Wir leben Vielfalt jeden Tag und das wollen wir auch nach außen mit unserem Personalmarketing zeigen. Wir sprechen mit unseren Maßnahmen immer die Sprache der Zielgruppe. Deshalb unterscheiden wir unterschiedliche Formate, je nachdem, ob wir Schüler*innen, Fachkräfte, Akademiker*innen oder Student*innen ansprechen wollen. Für Akademiker*innen bieten wir z. B. Experten-Talks an: DB-Mitarbeitende berichten über spannende Projekte, ihren Arbeitsalltag und gehen in den Austausch mit den Teilnehmer*innen. Wir beteiligen uns auch an diversen Netzwerk-Formaten mit etablierten Partner*innen, etwa BeyondGenderAgenda oder nushu. Auf unseren Social-Media-Kanälen sprechen wir gezielt Frauen an, um über die Deutsche Bahn als moderne Arbeitgeberin zu informieren. Dazu gehören neben Portraits von DB-Mitarbeiter*innen auch spezielle Recruiting-Anzeigen oder zielgruppenspezifische Videoformate. Aktuell planen wir auch für den gesamten März zahlreiche Social-Media- und Online-Aktionen: Weltrekordversuch, Role Models der Bahn, spannende Executive-Talks oder Leadership Journeys für Frauen.

Welche Maßnahmen gibt es im operativen Recruiting?

Martin Seiler: Hier möchte ich nochmal die #wirsindIn Recruiting Days nennen, auf denen wir ein beidseitiges Kennenlernen von potenziellen Bewerberinnen und der Deutschen Bahn ermöglichen. Es handelt sich dabei um ein interaktives Format, bestehend aus Paneltalks, informellen Kennlerngesprächen oder einer Podiumsdiskussion – verbunden mit persönlichen Interviews für den Traumjob. Idealerweise erfolgen die Bewerbung sowie Einstellungszusage dann direkt am selben Tag vor Ort.
Bei den Stellenausschreibungen nutzen wir verstärkt weibliche Role Models, denn Bilder sagen mehr als Worte, und wir möchten schon bei der Ausschreibung zeigen: Wir meinen es ernst und suchen Frauen für diesen Job. Wenn eine Kandidatin ihren Traumjob bei uns nicht bekommt, gehen wir aktiv mit ihr in eine Alternativprüfung: Was ist es, dass sie begeistert? Gibt es eine andere Stelle, die zu ihren Fähigkeiten passt? Die direkte Jobberatung gehört für uns dazu, um qualifizierte Frauen für die DB zu begeistern.

Sie wollen verstärkt aufs Monitoring setzen: Wie muss man sich das vorstellen?

Martin Seiler: Wir haben ein detailliertes Frauenrecruiting-Dashboard aufgesetzt, durch das wir mit einem kontinuierlichen Monitoring die Entwicklungen und Erfolge in diesem Bereich messen. Anhand verschiedener Reportings bekommen wir unter anderem eine ausführliche Auswertung über den Anteil der Kandidatinnen bei Bewerbungen, Einstellungszusagen oder den aktuellen IST-Stand in ausgewählten Berufen und Fachrichtungen. Zudem haben wir das Dashboard auch geschäftsfeldspezifisch aufbereitet. Das ermöglicht es, gemeinsam mit den jeweiligen Fachbereichen in den Austausch zu gehen. So können wir unsere Recruiting-Prozesse effektiv steuern und, wenn nötig, Gegenmaßnahmen in Echtzeit ergreifen.

Welchen Effekt für die Chancengerechtigkeit erwarten Sie mit all den Maßnahmen?

Für die Deutsche Bahn stehen Chancengerechtigkeit und -gleichheit immer an erster Stelle. Das gilt sowohl bei den Einstellungen, Gehältern als auch den Arbeitsbedingungen. Mit einer Kombination aus flexiblen Beschäftigungsbedingungen und individueller Karriereförderung wollen wir unseren Mitarbeitenden noch mehr Flexibilität bieten, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können und die DB den diversen Lebensentwürfen gerecht wird. Flexible Arbeitszeitmodelle bieten einen inklusiven Charakter und ermöglichen es, Zugangsbarrieren abzubauen. Besonders für Führungspositionen ergeben sich so neue Chancen und damit auch für mehr Frauen die Möglichkeit, ihre Karriereplanung aktiv zu gestalten. Generell ist der DB wichtig, dass Eltern sich nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden müssen und ich bin mir sicher, dass dies ein entscheidender Schritt dazu ist. Bei der DB ist beides möglich und das wollen wir auch nach außen zeigen und fördern es innerhalb des Konzerns.

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#eswirdechtzeit: Die Deutsche Bahn setzt für mehr Chancengerechtigkeit vor allem auf die Flexibilisierung von Arbeitsmodellen als Must Have. Was dahinter steckt, lesen Sie hier. Im Interview erklärt Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht bei der Deutschen Bahn, was ihn antreibt. Die Deutsche Bahn hat

viele dieser Maßnahmen in den vergangenen Jahren bereits erprobt. Hier erzählen Mitarbeiter*innen, wie die Maßnahmen in der Praxis funktionieren: