Gläserne Decke Frauenquote: Wie die Frauenquote gelingen kann
Trotz Frauenquote in Aufsichtsräten: Die gläserne Decke scheint nach wie vor stabil zu sein. Für mehr Gleichberechtigung in der Personalentscheidung sollen digitale Bewerbungsprozesse und datenbasierte Kriterien sorgen.
In den 1970er-Jahren wagten US-Symphonieorchester einen radikalen Schritt. Fortan ließen sie Bewerberinnen und Bewerber hinter einem Vorhang vorspielen. Mit beachtlichen Folgen: Hatte der Männeranteil zuvor bei 95 Prozent gelegen, sind heute rund 40 Prozent der Musiker weiblich. Natürlich nicht, weil die Bewerberinnen über Nacht bessere Musikerinnen geworden wären. „In Bewerbungssituationen neigen wir dazu, uns selbst zu reproduzieren“, so die Verhaltensökonomin und Harvard-Professorin Iris Bohnet. „Wir wählen also Menschen, mit denen wir Geschlecht, Herkunft oder Hobbys teilen.“
Bauchgefühl und Intuition schließen Diversität also tendenziell aus – sind in Personalentscheidungen aber oft noch das Maß aller Dinge, wie Bohnet in ihrem Buch „What Works. Gender Equality by Design“ herausarbeitet. Das steht nicht nur der Chancengleichheit im Weg. Ein gleichberechtigter Einsatz von Frauen in der Arbeitswelt könnte das deutsche Bruttoinlandsprodukt bis 2025 um 12 Prozent und 422 Milliarden Euro steigern, so eine Studie der Initiative ‚Chefsache‘.
Digitale Tools gegen das „Unconscious Bias“
Quoten können Rollenbilder allmählich verändern. Doch um den Einfluss unbewusster Vorurteile zurückzudrängen, müssen Personalentscheidungen auf ein objektiveres Fundament gestellt werden, so Bohnet. „Strikte Datenanalyse, Blindverfahren und digitale Entscheidungshilfen können uns dabei unterstützen, objektivere, fairere und bessere Entscheidungen zu trennen.“
Start-ups wie Applied, Textio oder Unitive haben Programme entwickelt, die es Organisationen erlauben, ihre Stellenausschreibungen so zu gestalten, dass sie tatsächlich auf den gesamten Talentpool zurückgreifen können. Denn schon die Wortwahl kann darüber entscheiden, ob sich eher Männer oder Frauen auf eine Stelle bewerben. Die Programme prüfen Ausschreibungen auf geschlechtsneutrale Wortwahl, anonymisieren Geschlecht, Name, Alter und die Antworten auf Bewerbungsfragen. „Von solchen Verfahren profitieren letztlich alle unterrepräsentierten Gruppen in einem Job, da Entscheidungen nun mehr auf Qualität als auf Herkunft basieren“, so Bohnet.
Datenbasis statt Bauchgefühl
Objektivere Entscheidungskriterien auf Datenbasis statt subjektivem Bauchgefühl – in Finanzabteilungen ist das längst gang und gäbe. „Wenn wir diese evidenzbasierten Verfahren auch im Personalwesen einführen, können wir messen, ob unsere Evaluation- und Beförderungsverfahren tatsächlich fair und geeignet sind, Talente zu finden und zu fördern“, so die Forscherin. Firmen wie Google, Walmart, IBM oder McKinsey setzen seit Jahren auf sogenannte People Analytics, um die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu ermitteln oder strukturelle Probleme zu identifizieren. So ergab eine Datenanalyse von Google, dass junge Mütter doppelt so oft kündigten wie der durchschnittliche Angestellte. Das änderte sich, als das Unternehmen die Elternzeit von den branchenüblichen zwölf Wochen auf fünf Monate verlängerte.
Datengestützte Verfahren können auch Beförderungsprozesse fairer machen und Unternehmen zugleich dabei helfen, eine Position bestmöglich zu besetzen, sagt McKinsey-Partnerin Julia Sperling: „Systematisches Talentmanagement durch People Analytics bietet großes Potenzial. Wenn datenbasiert und nach rein objektiven Kriterien gefördert wird, dann kommt das der Chancengerechtigkeit und damit auch den Frauen zugute.“ Selbst in Bewerbungsprozessen können algorithmenbasierte Verfahren menschlicher Voreingenommenheit entgegenwirken. Ein Dienstleistungsunternehmen, das jährlich 250.000 Bewerbungen erhielt, konnte mittels von McKinsey entwickelter Algorithmen und und selbstlernender Künstliche-Intelligenz-Programme den Auswahlprozess vereinfachen, verbessern und dabei den Frauenanteil unter den infrage kommenden Bewerbern im Vergleich zum manuellen Auswahlverfahren um 15 Prozent steigern.
Damit Algorithmen allerdings verlässlich zu gerechteren Ergebnissen führen, müssen sie im Vorfeld gründlich getestet werden, gibt Verhaltensökonomin Bohnet zu bedenken. „Die Gefahr von algorithmischen Verzerrungen ist real – aber klug durchdachte und geprüfte Verfahren haben das Potenzial, unsere Entscheidungen besser und objektiver zu machen.“