Eine Frau sitzt am Laptop und hält eine Tasse Kaffee in der Hand
stocksy

Praxisbeispiel Jobsharing in Führungspostionen im Allianz Logistik-Service-Zentrum

Die starre 40-Stunden-Woche hat aus­gedient. Der Wunsch von Frauen und Männern in Führungs­positionen nach einer gesunden Work-Life-Balance erfordert flexible Arbeits­modelle.

Teilen ist eine der wichtigsten Aufgaben im Berufs­all­tag von Claudia Hamann. Gemeinsam mit einer Kollegin leitet die 43-Jährige seit zwei Jahren eine Abteilung im Allianz Logistik-Service-Zentrum in Berlin. Die Idee zur Teilung der Stelle kam aus der Chef­etage. Die Reaktionen ihres Teams reichten von Begeisterung bis hin zu skeptischen Fragen, wie die Zusammen­arbeit mit zwei Vor­gesetzten funktionieren könne.

Inzwischen schätzen Hamanns Team­mit­glieder, dass sie unter­schiedliche Ansprech­partnerinnen haben. „Für unser Arbeits­umfeld ist es wichtig, dass wir uns eng abstimmen und keine Informationen verloren gehen“, sagt Hamann. Sie und ihre Kollegin arbeiten an je drei Tagen in der Woche – die eine von Montag bis Mittwoch, die andere von Mittwoch bis Freitag, sodass die Stelle jeder­zeit besetzt ist. An ihrem gemeinsamen Arbeits­tag tauschen sie sich aus und halten Meetings ab.

Geteilte Führung beinhaltet für Hamann auch einen psychologischen Faktor: „Wer Führung über­nimmt, ist eher ein Alpha­tier. Um Verantwortung zu teilen, genauso wie Erfolg und Anerkennung, bedarf es einer hohen Kooperations­bereit­schaft.“ Anfangs musste die Führungs­kraft vor allem lernen, los­zu­lassen, da sie nicht in jedem Prozess zu 100 Prozent vertreten sein kann. Der größte berufliche Vor­teil des Job­sharing: „Wenn wir strategische Themen entwickeln, dann kommen zwei Köpfe auf mehr Ideen. Eins plus eins ist in unserem Falle mehr als zwei.“ Für ihr Privat­leben bedeutet dieses Arbeits­modell vor allem eine gute Work-Life-Balance. Als Mutter einer fünf­jährigen Tochter will Hamann jungen Frauen und Männern Mut machen und zeigen, dass es möglich ist, Karriere und ein erfülltes Familien­leben in Ein­klang zu bringen. Ihrer Ansicht nach müssen Unter­nehmen verstehen, dass es nicht das eine Job­modell gibt, sondern dass sie mehrere individuelle Lösungen anbieten müssen. Anderen Führungs­kräften empfiehlt Hamann, Job­sharing-Modelle im eigenen Unter­nehmen zu lancieren. „Natürlich muss man dazu dann ein Tandem finden. Das war bei uns ein glücklicher Zufall.“

Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, ist ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel nötig.
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Um den Anteil von Frauen in Führungspositionen zu erhöhen, ist ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Wandel nötig.

Dass Tandems vor allem auf Führungs­ebene mehr Effizienz und Innovations­kraft ermöglichen, davon sind Anna Kaiser und Jana Tepe überzeugt. Seit 2013 bieten die Gründerinnen des Start-ups Tandemploy Job­suchenden eine Online­platt­form, auf der sie passende Tandem­partner­Innen oder flexible Unter­nehmen finden können. Für sie stellt Job­sharing eine logische Konsequenz der aktuellen Veränderungen am Arbeits­markt dar. „Wenn sich hierarchische Strukturen immer mehr zu Netz­werk­organisationen wandeln, müssen wir die starre 40-Stunden-Woche und auch die Art der Zusammen­arbeit fundamental über­denken. Kooperation schlägt hier eindeutig Konkurrenz – dafür ist Job­sharing ein Sinn­bild“, erklärt Jana Tepe. Viele Unter­nehmen verhalten sich beim Thema „flexibles Arbeiten“ noch zögerlich. „Dabei liegen die Hürden meist nur in den Köpfen“, findet Anna Kaiser. „Es wird höchste Zeit, die Art und Weise, wie wir arbeiten, zu über­denken. Wenn uns die Flexibilisierung von Organisationen und Strukturen nicht gelingt, brauchen wir über die Verein­bar­keit von Familie und Beruf gar nicht erst zu reden.“ Für die Tandemploy-Gründerinnen kann Job­sharing einen wichtigen Beitrag zur Gleich­berechtigung im Beruf leisten, weil das Modell verstärkt auch Männer anspreche. „Nur wenn beide – Männer und Frauen – lebens­freundlicher arbeiten können, gewinnen am Ende alle. Flexible Arbeits­modelle sind kein Frauen­thema“, betont Tepe.

Abkehr von der Präsenz­kultur

Laut „Manager Monitor 2|2016“, einem Umfrage-Panel des Kölner Führungs­kräfte Instituts, sehen 38 Prozent der deutschen Führungs­kräfte flexible Arbeit als karriere­schädlich an. Während viele Unter­nehmen hinsichtlich flexibler Arbeits­modelle noch zurück­haltend agieren, unter­sucht die Initiative ‚Chefsache‘ in einem Report die Bedeutung, Erfolgs­aus­sichten und Hindernisse solcher Modelle und legt einen praktischen Baukasten vor, mit dem die Umsetzung flexiblen Arbeitens in Führungs­positionen gelingen kann. ‚Chefsache‘ sieht in Arbeits­modellen wie Job­sharing, mobilem Arbeiten und reduzierter Vollzeit einen wesentlichen Beitrag zur gleich­berechtigten Teil­habe von Frauen und Männern im Beruf. „Präsenz­kultur und Voll­zeit­einsatz sind in deutschen Führungs­etagen noch immer gang und gäbe, auch wenn sie heute nicht mehr der Lebens­realität vor allem weiblicher Führungs­kräfte entsprechen. Ein über­kommenes Führungs­verständnis und über­kommene Vor­stellungen von Karriere stellen eine wesentliche Hürde dar“, erklärt Dr. Bernhard Beck, Mitglied des Vorstands bei der EnBW. Und das, obwohl mehr Chancen­gerechtig­keit von Frauen und Männern in der Arbeits­welt bis 2025 ein zusätzliches Brutto­inlands­produkt von 12 Prozent bedeuten würde, so eine Berechnung des Reports in Zusammen­arbeit mit dem McKinsey Global Institute. „Flexible Arbeits­formen in Führungs­positionen sind wirtschaftlich sinn­voll und gesell­schaftlich not­wendig. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen ist der Bedarf vorhanden“, sagt Dr. Cornelius Baur, Managing Partner McKinsey Deutschland und Österreich.

Funktionierende IT-Infra­struktur

Flexibles Arbeiten funktioniert aller­dings nur dann, wenn Organisation, Arbeits­umfeld und die Führungs­kraft selbst mit­einander inter­agieren und verstehen, wo bisherige Barrieren liegen. Im Report der Initiative ‚Chefsache‘ finden Unter­nehmen den „Flex-Bau­kasten“, der Empfehlungen und Instrumente für die Umsetzung flexibler Arbeits­modelle vorstellt. Ein Beispiel aus dem umfang­reichen Baukasten: Grund­voraus­setzung für flexibles Arbeiten ist der Wandel von einer Präsenz­kultur, in der vor allem die Anwesen­heit im Büro zählt, hin zu einer vertrauens­basierten Ergebnis­kultur. Als Umsetzungs­instrument empfehlen die AutorInnen des Flex-Reports die Einführung eines aktivitäts­basierten Arbeitens („Activitybased Working“), welches ein komplett orts- und zeit­flexibles Arbeiten und somit größt­mögliche Flexibilität ermöglicht. „Arbeit­geber müssen Arbeits­modelle entwickeln, die dem gesell­schaftlichen Wandel – und damit den veränderten Bedürfnissen von Männern und Frauen – besser Rechnung tragen“, so Beck.

Initiative „Chefsache“
Initiative Chef:innensache

‚Chefsache‘-Report: Flexibles Arbeiten in Führung

Das Erwerbs­potenzial von Frauen wird in Deutschland noch immer nicht ausreichend ausgeschöpft. Chancen­gerechtig­keit in Führungs­positionen ist dafür eine wichtige Vor­aus­setzung. Dazu braucht es einen Wandel hin zu einem neuen, flexiblen Führungs­verständnis, das es Frauen und Männern ermöglicht, Arbeits- und Lebens­realität in Einklang zu bringen. Der Wandel wird erst dann Realität, wenn das Top­management selbst die not­wendigen Impulse setzt. Hierzu entwickelt der ‚Chefsache‘-Report „Flexibles Arbeiten in Führungs­positionen. Ein Handlungs­leitfaden für Chefetagen“, einen Bau­kasten für das Management: von der Aus­gestaltung eines fairen Beurteilungs­systems für flexible Führungs­kräfte bis hin zur projekt­bezogenen Arbeit mit­hilfe der Scrum-Technik. Laden Sie den Report auf www.initiative-chefsache.de/flex-report herunter und finden Sie heraus, welche Maß­nahmen speziell Ihrem Unter­nehmen die Flexibilisierung ermöglichen.

Lebens­phasen­orientierte Personal­politik

Dr. Josephine Hofmann, Leiterin des Competence Center Business Performance Management des Fraunhofer-Instituts für Arbeits­wirtschaft und Organisation, ist Projekt­leiterin und Mit­autorin der Bertelsmann-Studie „Die flexible Führungs­kraft“, für die 2.500 Führungs­kräfte befragt wurden. Sie befasst sich seit mehr als zehn Jahren mit dem Thema „Flexibles Arbeiten und Führung“. Die Entgrenzung der Arbeit steigert – wie von den Unter­nehmen gewünscht – die Attraktivität eines Unter­nehmens, bedeutet gleich­zeitig aber auch einen erhöhten Koordinations- und Kommunikations­auf­wand. „Führungs­kräfte müssen klarer, viel mehr technisch unter­stützter, lang­fristiger und intensiver kommunizieren“, so Josephine Hofmann. Seit einigen Jahren stellt die Wissen­schaftlerin eine ein­seitige Debatte darüber fest, dass Führungs­kräfte zu den größten Hemmnissen des flexiblen Arbeitens zählen. Im Rahmen ihrer Forschungs­arbeit machte sie andere Erfahrungen. Oft fehle es auch an aktiver und verantwortlicher Kommunikation seitens der Mit­arbeitenden. „Flexible Arbeits­formen in Unter­nehmen können nur funktionieren, wenn sie von allen Mit­arbeitenden und Vor­gesetzten in möglichst hoher Selbst­verantwortung getragen werden“, erklärt Hofmann. Der Einsatz flexibler Arbeits­formen hat Grenzen. Hofmann erlebt Unter­nehmen, die teil­weise das Ausmaß an flexiblen Arbeits­formen zurück­drehen, weil Abstimmungen und das Aufrecht­erhalten einer Team­identität über die Distanz nicht möglich waren. Ob flexible Arbeits­modelle erfolg­reich sind, hängt stark von der Unter­nehmens­struktur und den Tätig­keiten der Mit­arbeitenden ab, vor allem aber kommt es auf einen intensiven Austausch aller Beteiligten an. Kommunikation sei der Herz­schlag eines Teams, der nicht unregelmäßig werden dürfe. Für die Fraunhofer-Wissenschaftlerin sind flexible Arbeitsformen vor allem kein „Mutter-Thema“ mehr. Hofmann: „Was als Sonder­lösung für junge Mütter gestartet ist, ist heute selbst­verständlicher Bestand­teil lebens­phasen­orientierter Personal­politik.“

Von Bildungs­aus­zeiten bis Alters­teil­zeit

Viele Unternehmen reagieren auf die Lebens­phasen ihrer Angestellten mit flexiblen Arbeits­modellen. Dr. Christian P. Illek, Personal­vorstand der Deutschen Telekom, sagt: „In vielen Bereichen wird zeit- und orts­unabhängiger gearbeitet. Agilität und Kollaboration werden zu bestimmenden Faktoren im Berufsleben. Flexibilität und Offen­heit sind die Voraus­setzungen, um diesen Wandel erfolg­reich zu gestalten.“ Sein Unter­nehmen ermöglicht neben Familien­pflege­zeiten und Alters­teil­zeit auch Bildungs­aus­zeiten oder Eltern-Kind-Büros. Und: Im vergangenen Jahr haben Telekom und Verdi einen Tarif­vertrag fürs „mobile Arbeiten“ geschlossen. Bei der Unter­nehmens­beratung McKinsey können sich Beraterinnen und Berater jedes Jahr eine drei­monatige Aus­zeit nehmen, in der sie weiter­hin kranken- und sozial­versichert sind und ein angepasstes Gehalt beziehen. Manche nutzen „Take Time“, um etwa auf Welt­reise zu gehen. Auch der Arbeit­geber von Thomas Nagel reagierte auf dessen aktuelle Lebens­situation. Der 39-jährige Vater von zwei Kindern ist bei Bosch im Einkauf als Projekt­leiter mit direkter Personal­verantwortung zuständig für Strategie und Sonder­projekte. Seit ein­ein­halb Jahren arbeitet er in 80-prozentiger Teil­zeit und teilt sich die Kinder­betreuung mit seiner Frau, die eben­falls in Teil­zeit arbeitet. „Wir wollten für unsere Kinder da sein, ohne dass einer von uns die eigene Karriere aufgeben muss“, so Nagel. Für ihn ist Teil­zeit­arbeit im Hinblick auf Gleich­berechtigung wichtig: „Wir brauchen Vor­bilder. Auf allen gesellschaftlichen und hierarchischen Ebenen in Unter­nehmen. Teil­­zeit sollte zu einem normalen Arbeits­modell für Männer und Frauen werden.“